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Mediale Teilhabe

Ich erinnere mich, in der Anfangszeit des Webs nutzten meine Freund*innen und ich intensiv E-Mail, um uns gegenseitig aufmerksam zu machen auf interessante Artikel und Links. Jede*r von uns hatte andere Interessen, Schwerpunkte und Aufmerksamkeiten, so dass der E-Mail-Verteiler mit einem bunten Mix an an lustigen, spannenden, nachdenklichen, empörenden Links gefüllt war.

Das war noch vor der ersten Dotcom-Blase. RSS-Feeds waren gerade erst erfunden und der breiten Masse noch nicht bekannt (heute hingegen sind sie der breiten Masse nicht mehr bekannt. Der breiten Masse waren sie ungefähr am 29. Februar 2010 bekannt). Viele Medien im Web waren genuine Web-Medien, ohne große Historie in der physischen Welt. Blogs hießen noch Weblogs und wurden in Nepal in Handarbeit hergestellt. Wikis waren abgekürzte Wikinger. Es war die gute alte Zeit.

Mit der Zeit drängten immer mehr Medien ins Netz. Immer mehr Leute kamen auf die Idee, Geschäftskonzepte mit Web-Inhalten zu verbinden. Ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wie Internetcompanys in den Nuller-Jahren ihr Geld verdient haben, wenn sie nicht Amazon oder Ebay hießen. Facebook und Twitter hatten beide kein Konzept, aber die Investoren überschütteten sie mit Geld.

Ich pflegte meine Sammlung an RSS-Feeds. Ich hatte für den Desktop RSS-Reader, deren Namen ich längst vergessen habe, Liferea[1] oder Feedreader[1]. Und so wäre es vermutlich weiter gegangen, hätte nicht das mobile Internet dank Apples iPhone eingesetzt, denn auf einmal wollte ich auch mobil meine Feeds lesen. Für Palms Pre gab es den Tea-Reader[#RSS], derr gut mit dem Google Reader klarkam. Ich zog meine RSS-Feed-Sammlung zum Google Reader um, der dann aber Google Plänen zur Weltherrschaft vermittels Google+ zum Opfer fiel. Aber für einige Zeit konnte ich meine Feeds an verschiedenen Geräten lesen, der Lesestatus wurde dank Google Reader auf allen Geräten synchron gehalten. Vorher hatte ich mitunter 300 ungelesene Einträge auf meinem Desktop, die ich alle schon am Laptop gelesen hatte (als gelesen markiert, natürlich; ich lese ja nur den Teil, wo Titel und Anrisstext interessant klingen).

Google hob Google+ aus der Taufe, weil Facebook die Aufmerksamkeit seiner Nutzer*innen länger und häufiger binden konnte als Google. Google brauchte aber auch diese knappe Ressource, denn damit machen sie Geld. Für Facebook optimiert gab es dann Inhalte von Firmen, deren einziger Zweck es war, die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen einzufangen, Buzzfeed, HuffPost und zahlreiche andere. Immer mehr Aufmerksamkeit fiel unter die Ägide vom Gatekeeper Facebook (und im geringeren Maße Twitter). Immer mehr Inhaltslieferanten boten ihre Inhalte auf Facebook feil, im steten Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen.

Ich habe mit der Einstellung des Google Readers meine RSS-Feed-Sammlung erst zu Feedly verschoben (lief gut), dann aber beschlossen, Tiny Tiny RSS selbst zu hosten (der Entwickler ist anstrengend, arrogant und teilweise geschichtsvergessen, aber die Software tut, was sie soll). Ich nehme gelegentlich Änderungen an der Zusammenstellung meiner Feeds vor, aber ich habe ansonsten eine relativ stabile Quelle an Quellen.

Angefeuert von der Aufmerksamkeitsökonomie in den sozialen Netzwerken verfielen immer mehr Anbieter auf kleine Informationshäppchen. Sicher spielte auch die Schwierigkeit der Monetarisierung von einzelnen Inhalten eine Rolle, im Endeffekt war es aber das gleiche: Viele kleine Beiträge, die möglichst hohe Reichweite erreichen mussten. Meine RSS-Feeds wurden voller und voller, die Abarbeitung der ungelesenen Beiträge wurde tatsächlich Arbeit von mehreren Stunden täglich. In den sozialen Netzwerken hingegen wird algorithmisch gesteuert die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen so weit wie möglich angezapft mit Beiträgen, die ein höchstmögliches Potential an engagement besitzen, also der Eigenschaft, die Leser*innen zur Interaktion mit der Plattform zu bewegen. Bestimmt sitzen in den Firmen hochbezahlte und studierte Fachkräfte, die ganz eigene dafür Metriken haben.

Für die breite Masse aber war der algorithmisch gesteuerte Zugang ein Segen, erlaubte er es ihnen doch, an Nachrichten[2] zu kommen, die sie sonst nie erreicht hätten. Und natürlich wurde munter geteilt, was einen am meisten bewegt hat. Skandale, tatsächliche und erfundene, sind dafür hervorragend geeignet. Und in der algorithmisch befeuerten Newsfeed-Welt gibt es ständig Futter für Skandalsucht.

Ich denke, da draußen gibt es gar nicht wenige Menschen, die sich schon von Jugend an aus dem frei verfügbaren Nachrichtenangebot ausgeklinkt haben, da sie ihre Informationen aus ihrem persönlichen sozialen, digitalen Umfeld beziehen, ohne Chance auf ein Korrektiv, weil Korrektive nicht emotionalisieren, sondern moderieren, aber Mäßigung fühlt sich halt ein bisschen an wie Tod, während Emotion sich wie Leben anfühlt. Sie befinden sich in Kreisen, deren Quellen algorithmisch zusammengestellt sind auf Basis von Automatismen, die nicht breite Information zum Ziel haben, sondern Bindung an die Plattformen. Es war nur folgerichtig, dass Facebook WhatsApp gekauft hat, denn die Dynamik zwischen algorithmischen Newsfeed bei Facebook und persönlicher Empfehlung via Messenger wird Facebook nicht entgangen sein.

Meine mediale Teilhabe ist eine, der darauf beruht, dass ich das technische Wissen habe, um mir meine Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Das ist kein Modell für die Masse. Ein Modell wäre der tägliche Besuch vereinzelter Medienangebote, also das digitale Äquivalent zum Blättern in der Tageszeitung, aber dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass die Bild über Jahrzehnte die auflagenstärkste Tageszeitung war. Dass ihre Auflage rückgängig ist, liegt nicht daran, dass die Ansprüche der Leser*innen gewachsen sind, sondern dass der Bild Konkurrenz im Web erwachsen ist, der sie nicht gewachsen ist. Facebook, und später auch Twitter, haben sich vom Konzept ungefilterter Newsfeeds verabschiedet, aber sie stellen das Modell dar, das den größten Erfolg hat. Es ist niedrigschwellig genug, dass auch ohne Technikkompetenz medial teilgehabt werden kann.

Ich bin sicher, mein Gedankenfluss hatte so manchen Sprung, manches hätte mehr Ausarbeitung verdient, aber ich bin es erst einmal los. Danke für die Aufmerksamkeit.

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